Bücherregal Grimm und Goethe in Karlsbad

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Aus dem Tagebuch eines Schulleiters

Als Dauergäste darf ich in meinem Büro auch heute wieder die Schüler Silviu und Friday begrüßen. Den Mädchen aus der 9a ist die ständige Anmache jetzt endgültig zu viel. Sandra möchte nicht einfach mit „Blondie“ angesprochen werden, auch mag sie es nicht, wenn ihr der Friday durchs Haar streicht. Kathrin will nicht, dass sich ihr die Jungs von der Übergangsklasse mit ausgebreiteten Armen in den Weg stellen und Stefanie findet es blöd, von denen immer so in die Ecke gedrängt zu werden.

Tagebuch eines SchulleitersIch stelle die schlimmen Buben den Mädchen gegenüber, damit sie vor Zeugen zu den Anschuldigungen Stellung nehmen können, aber die Kommunikation ist schwierig, weil die vorgebrachten Beispiele und Verhaltensweisen auf kulturell bedingtes Unverständnis stoßen. Ich denke an meine Soziologievorlesungen zurück. Friday findet nichts Anstößiges daran, ein Mädchen „Blondie“ zu nennen und er selbst hätte auch nichts dagegen „Nigger“ genannt zu werden, weil, was mich etwas verwundert, in Amerika, wie er sagt, „Nigger“ angeblich kein Schimpfname sei. Haben Sie einen Migrationshintergrund, fragt der Schüler Ashad unsere Sekretärin Frau Liefer. Die Frage ist berechtigt und zeugt von der differenzierten Auffassungsgabe des Schülers aus der Übergangsklasse. Frau Liefer stammt aus dem Allgäu und sie hat dem Schüler mit einer Aufgabenstellung geantwortet: „Finde heraus, wo das Allgäu liegt und was es in Immenstadt Besonderes gibt.“ Heute stellt Ashad seine Ergebnisse vor, er hat alles zusammengetragen, was er finden konnte. Voller Stolz nennt er „Käsespätzle“ als regionale Besonderheit. Auf dem Gang tritt mir mit aschfahlem Gesicht Kollegin Portmann entgegen. „Also weißt du“, sagt sie mit brechender Stimme, „ich halte das gar nicht aus, dass da jetzt die Leute von der Evaluation zu mir kommen. Wer bin ich denn, dass ich mich da noch vorführen lassen muss.“ „Augen zu und durch“, sage ich und lasse die „Elende“ stehen, denn ich bin auf der Suche nach Kollegen aus der fünften und sechsten Jahrgangsstufe, will fragen, ob noch jemand an einer erlebnispädagogischen Aktion interessiert ist. Frau Schuck hat mit ihren Schülern ein Weihnachtsfrühstück vereinbart, alle bringen etwas mit, alle können auch essen, was die anderen mitgebracht haben, nur Alex bringt nichts mit. Alex, der Schüler, an den man nicht herankommt, der immer so verschlossen wirkt, in letzter Zeit noch mehr als sonst. „Ja Alex, warum willst du dich denn nicht beteiligen?“ Da platzt es aus dem Alex raus: „Ich kann nichts mitbringen, wir haben nichts, Frühstück gibt es bei uns auch nicht, seit Tagen habe ich kein Frühstück bekommen. Mein Vater hat 370 000 Euro Schulden, wir haben nichts!“ Alle schauen betroffen. Heute haben viele Mitschüler für den Alex etwas dabei.


Buchdetails

ISBN: 9783737570640
Format: DIN A4 hoch
Seiten: 308
Erscheinungsdatum: 24.02.2016
Schlagworte: Schule, Ganztagsschule, Bayern, Schulleiter, Schulamt, Tagebuch, Lehrer, Unterricht, Schüler, Winfried Wolf

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