Friedrich Melchior Grimm, ein Aufklärer aus Regensburg
Strohsessel und Kutsche - ein Leben zwischen Paris und Sankt Petersburg
Im September 2023 jährt sich der Geburtstag des Regensburger Pfarrersohns Friedrich Melchior Grimm zum 300. Mal. Grimm, 1723 in Regensburg geboren und 1807 in Gotha gestorben, war ein enger Freund von Denis Diderot und Jean Jacques Rousseau. Er gehörte zum Kreis der Enzyklopädisten um Diderot, d’Alembert und Holbach. Seine geheime „Correspondance littéraire“ verbreitete die Gedanken der Aufklärung in ganz Europa. Kaum ein Fürstenhof von Bedeutung, der nicht zu den Empfängern seiner „Newsletter“ gehörte.
Grimm war Gast beim preußischen König Friedrich II., mit der Zarin Katharina II. pflegte er über drei Jahrzehnte einen lebhaften Briefwechsel, er war der Freund des polnischen Königs Stanislaw Antoni Poniatowski und Vertrauter des Prinzen Heinrich von Preußen. Friedrich Melchior Grimm, dieser große Sohn der Stadt Regensburg, ist heute leider weitgehend in Vergessenheit geraten, zu Unrecht, denn es gibt kaum einen besseren Spiegel des 18. Jahrhunderts als seine bis zur Französischen Revolution geführte „Correspondance littéraire“, deren vollständigste Ausgabe heute in Gotha auf Schloss Friedenstein liegt.
Als Literatur-, Musik-, Kunst- und Theaterkritiker gibt uns Grimm Einblick in das aufregende Kulturleben seiner Zeit, als Journalist lässt er uns am gesellschaftlichen und höfischen Leben des 18. Jahrhunderts teilnehmen. Als Freund und Berater der Höfe hatte er Zugang zu den Mächtigen, als Freund der Enzyklopädisten verfolgte und förderte er den Fortgang der Wissenschaften. Grimm war ein unabhängiger Geist, seine „Correspondance littéraire“ ließ er sich von niemandem diktieren, für seine Zeit, ein fast unmögliches Unterfangen. In Regensburg und Gotha kennt heute, von einigen Experten abgesehen, kaum jemand diesen bedeutenden und gleichsam verschwiegenen Wegbereiter der europäischen Aufklärung. Es ist endlich an der Zeit, Grimms Lebensgeschichte einem größeren Publikum zugänglich zu machen. Sein dreihundertster Geburtstag wäre dazu eine gute Gelegenheit.
Es war ein weiter Weg von Grimms ersten literarischen Versuchen bis hin zu seinen Diensten als Kunst- und Kulturagent der russischen Kaiserin Katharina II. Als enger Freund Diderots bewegte er sich im Kreise der Enzyklopädisten, als umtriebiger und reisefreudiger Anhänger und Verfechter einer Aufklärung von oben war er gern gesehener Gast und Berater bei Königen und Fürsten in ganz Europa. Er begleitete Erbprinzen und junge Adelige auf ihren Bildungsreisen nach England, Italien und Russland; in Paris war er ein gern gesehener Gast in den berühmten Salons der Mesdames Geoffrin und Lespinasse. Für hochrangige Besucher und Bildungsreisende war Grimm in Paris erste Adresse, er konnte Türen öffnen und Verbindungen herstellen. Ausländische Gäste führte er häufig zu seinem Freund Diderot, die dann den großen Philosophen im Schlafrock bewundern konnten.
Aus dem mittellosen Sohn eines Regensburger Pfarrers wurde ein weltgewandter Kosmopolit, der das Wissen und den Geist seiner Zeit in sich zu vereinigen und auf die geschickteste Weise Aufklärung und Fürstendienst zu verbinden verstand. Seine Karriere begann, als ihm in Regensburg ein Gesandter des Herzogs von Sachsen Gotha die Kulturnachrichten des Abbé Raynal (Nouvelles littéraires) aus Paris zu lesen gab. Fünf Jahre später übernahm Grimm von eben diesem Raynal die Correspondance littéraire, ein Periodikum, das bald an allen großen Höfen Europas gelesen wurde und das auf eine ganz besondere Weise die Ideen der Aufklärung verbreiten half. Zu den eifrigen Lesern von Grimms Correspondance littéraire gehörte als Freund des Herzogs von Weimar auch Goethe. Er machte über die Correspondance littéraire Bekanntschaft mit Diderot und übersetzte dessen Dialogroman Rameaus Neffe ins Deutsche.
Grimms Periodikum war das Publikationsorgan der Aufklärung, es bot Künstlern und Literaten, aber auch Komponisten und Wissenschaftlern eine Plattform des gelehrten Gedankenaustausches; primus inter pares war Denis Diderot, Grimms Freund belieferte die Correspondance mit unzähligen Artikeln. Diderot schreibt regelmäßige Kritiken zu den Pariser Kunstausstellungen, er stellt dem Herausgeber der Correspondance fast sein komplettes literarisches Werk zur Verfügung; hier erscheinen erstmals seine besten Stücke „Die Nonne“, „Jacques der Fatalist und sein Herr“ und „D’Alemberts Traum“.
Dass Grimm aber überhaupt nach Paris kam und dort Karriere machen konnte, verdankte er vermutlich dem Kursächsischen Gesandten Graf Johann Friedrich von Schönberg, dessen schöne Residenz, das Löschenkohlpalais, noch heute den Neupfarrplatz in Regensburg ziert. Mit dessen Sohn Gottlieb Ludwig von Schönberg war Grimm seit der Schulzeit auf dem Gymnasium poeticum befreundet. Als Hofmeister beim Grafen Schönberg kümmerte sich Grimm nach dem Studium in Leipzig um den jüngeren Bruder Adolf Heinrich und ihn begleitete er vermutlich auch zur Jahreswende 1748/1749 nach Paris.
So wenig Regensburg dem jungen Grimm nach eigenen Aussagen zu bieten hatte, so bot ihm Regensburg als Stadt des Immerwährenden Reichstages mit ihren Gesandten doch auch das Sprungbrett für seine spätere Karriere in der Weltkulturhauptstadt Paris. Viele glückliche Umstände mussten allerdings zusammenkommen, bis Grimm dort im Kreise der philosophes um Diderot und Rousseau Beachtung und Anerkennung fand. Kein Geringerer als Voltaire war es, der mit seinem Lob „Was untersteht sich dieser Böhme, geistreicher zu sein als wir“ Grimms Ankunft im inneren Zirkel der Aufklärung verkündete.
Buchdetails
ISBN: 9783737554923
Format: DIN A4 hoch
Seiten: 616
Erscheinungsdatum: 26.06.2015
Schlagworte: Friedrich Melchior Grimm, Denis Diderot, Rousseau, Katharina die Große, Aufklärung, Voltaire, Madame d'Épinay, 18. Jahrhundert, Salon, Regensburg